Kommentar-Vorschlag zu John Fords Drama
Schade, dass sie eine Hure war ('Tis Pity She's a Whore)

Gliederung

A. Hundert Jahre Vergangenheit

IV. Sündenregister

Als der heilige Dominikus von Caleruega 1215 in Rom weilte, sah er in einer Vision, wie Christus drei Lanzen gegen die Welt schwang. Das Motiv sollte vom späten Mittelalter bis in den Barock in Bild und Schrift vielfältig abgewandelt Manifestation einer Religiosität sein, die die zürnende Gottheit des Alten Testaments in den Vordergrund treten ließ, nicht den „lieben“ Gott der Mystik. Jakob von Voragine nahm dieses Gesicht in seine „Legenda Aurea“ (1263 – 1288) auf und bezeichnete darin die drei Speere als göttliche Antwort auf die drei Laster Hoffart, Unkeuschheit und Habgier. [Dinzelbacher 60]

Miguel de Cervantes Saavedra (*1547; +23.4.1616) läßt in seinem „El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha“ die beiden abenteuernden spanischen Reiter unter freiem Himmel lagernd über Gott und die Welt diskutieren; so über den Hirten, der eines der sieben Weltwunder, den Tempel der Diana, angezündet hat; über die Asche von Julius Caesar auf der Spitze des Obelisken des heiligen Petrus in Rom, auch Sankt Peters Nadel genannt; wo sich Heiden und Christen nach ihrem Tod aufhalten, und schließlich über den Ruhm, der zukünftigen Herrlichkeit, die in den himmlischen Gefilden droben ewig währt. Verachtenswert ist die Eitelkeit des Ruhms des gegenwärtigen vergänglichen Lebens, in den Riesen müssen wir den Hochmut töten, durch Edelmut und Seelengröße den Neid besiegen, den Zorn durch Seelenruhe und Selbstbeherrschung, Gefräßigkeit und Schläfrigkeit durch spärlich essen und wachen Auges Wachen, Wollust und Geilheit durch Treue gegen die Gebieterin unserer Gedanken, die Trägheit durch Fahrten in allen vier Weltteilen auf der Suche nach Gelegenheiten, die uns nicht nur zu guten Christen, sondern auch zu berühmten und trefflichen Rittern machen. [Cervantes II/8] Damit sind schon nahezu alle Todsünden zur Sprache gebracht.

Als „Die sieben Todsünden“ werden gemeinhin folgende Begriffspaare herausgestellt: [Spiegel; Georges]:

1. SUPERBIA Hochmut (Stolz) und Eitelkeit (bzw. INANIS GLORIA Eitle Ruhmsucht)

Latein. superbia bedeutet das „Sich-Erheben“ über andere, der Stolz in zweifachem Sinne:
(1) im üblen Sinne = Übermut, Hochmut, Hoffart, Stolz
(Ggsz. Humanitas, aequitas, moderatio); oft neben arrogantia und insolentia
(2) im guten Sinne = Hochgefühl, stolzes Selbstgefühl

Diese zuerst genannte Todsünde wird auch als „Wurzelsünde“ bezeichnet. Aus ihr gehen die nachfolgenden „vitia capitalia“ hervor. [LexMA VIII,1275/6] Bezugnehmend auf die Vergänglichkeit des Menschen und der Veränderlichkeit seines Schicksals waren die beiden zentralen antiken Topoi RUHM und UNSTERBLICHKEIT zu erlangende unentbehrliche kulturelle Werte. [Rippl 43f.]

2. AVARITIA Habgier und Geiz

Latein. avaritia bedeutet allg. jede unmäßige Begierde, die Gier, insbes. die Habsucht, Habgier, Geldgier, der Geldgeiz

3. LUXURIA Wollust und Genusssucht

Latein. luxuria und luxuries (luxus) = die Geilheit, Üppigkeit; eig. das üppige Wachstum, Überfluss, Überfülle; bildlich:
a) die Üppigkeit, Schwelgerei, Vergnügungssucht, Genusssucht, Prunkliebe
(Ggsz. Temperantia, frugalitas, avaritia)
b) die Ausartung, der Übermut, die Zügellosigkeit in Ausübung der Macht.
Ihr Dämon heißt Asmodäus.

4. IRA Zorn und Rachsucht

Latein. aus eira = setzt in Bewegung.
Jede leidenschaftliche Aufwallung des Gemüts, Zorn, Heftigkeit, Erbitterung, Rache, im milderen Sinne Empfindlichkeit, Komik. (Cicero: sine ira et studio)
(Die römisch-katholische Kirche strich inzwischen die berüchtigten Fluch- und Rache-Psalmen aus dem Stundengebet. [Spiegel])

5. GULA Völlerei und Maßlosigkeit

Latein. aus gela = der Schlund; eig. die Speiseröhre, metaphorisch, wie unser Gaumen, Gurgel = Feinschmeckerei, Schlemmerei, Genusssucht.
Die Bibel bstimmte den Speiseplan des auserwählten Volkes mit ihren Koschergeboten aufs Genaueste.

6. INVIDIA Neid und Missgunst

Latein. invidia (invidus) = die Missgunst
Subjektiv: die missgünstige Stimmung gegen jmd., der Neid, die Eifersucht.
Objektiv: der Hass, den man bei anderen erregt, die üble Stimmung, der Unwille, die Unzufriedenheit mit jmd., die Erbitterung, die üble Nachrede, der Parteihass, das Missfallen, die Missgunst, Eifersucht (Ggsz. favor, cupiditas = parteiische Vorliebe)
Personifiziert: als Göttin.
Handwerkzeug der schleichenden gelben Todsünde ist das Gift.

„Ach, Neid, du Wurzel endlosen Übels, du Wurm in den Eingeweiden der Tugend! Jedem anderen Laster, Sancho, haftet doch eine Spur unerfindlicher Wonne an, doch der Neid bringt bloß Verdruss, Groll und Ärger.“ [Cervantes II,8 SL]

7. ACEDIA Trägheit des Herzens (bzw. TRISTITIA Trübsinn)

Latein. acedia, (acidia) = das mürrische Wesen, die üble Laune. Wurzel aller Süchte. [Spiegel]
Gegensätze könnten sein: Freude, Hilfsbereitschaft.

Da in dem Drama niemand eines natürlichen Todes stirbt, kann man die Motive der Täter verschiedenen Kategorien der kirchlichen und weltlichen Gerichtsbarkeit zuordnen. Die sieben Todsünden wären in diesem Fall nur eine der Kategorien der Moraltheologie. Über das „ob“ und „wie“ der Anwendung von Strafen entschied im konkreten Fall immer die Instanz, welche die herrschaftliche Macht hatte.

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