Kommentar-Vorschlag zu John Fords Drama
Schade, dass sie eine Hure war ('Tis Pity She's a Whore)

Gliederung

A. Hundert Jahre Vergangenheit

VI. FLORIO und die Neue Welt

1. „Hamlet“-Analogie

Das amouröse Treiben am königlichen Hof in Greenwich, das den vermutlich unschuldig Verurteilten unterstellt wurde, spiegelt sich in den Szenen von John Fords Stück, die sich im Hofe von FLORIO, eines Bürgers von Parma abspielen. FLORIO ist in einer vergleichbaren Lage wie Polonius in William Shakespeares „Hamlet“: ein Witwer mit Sorgen um seine beiden Kinder, den Studenten, GIOVANNI bzw. Laertes, und die Heiratsfähige, ANNABELLA bzw. Ophelia. Die königlichen Kammerherren in Greenwich und die ihnen unterstellten Handlungen wurden bei John Ford transformiert in ein Rollenspiel bekannter Aristokraten aus oberitalienischen Republiken, der Musiker als Neffe eines Dogen eingeschlossen.

2. Sprachlehrer in London

Der 1553 in London geborene Gelehrte John (Giovanni) Florio starb 1625, ungefähr vor oder während der Entstehungszeit des Stücks. Sein Vater war ein italienischer Franziskanermönch, der zum Calvinismus übertrat, daraufhin in Rom inhaftiert wurde, von dort freigekommen in England Zuflucht suchte und dort wohl auch eine Engländerin heiratete. John war Sprachlehrer für Italienisch und Französisch am Hof von Jakob I. und lebte im Haushalt von Henry Wriothesley, 3. Earl of Southampton, in London, der auch Freund und Förderer von William Shakespeare war. Beispielsweise unterhielt er in seinem Southampton House Königin Anna Stuart mit einer Aufführung von Shakespeares „Verlorener Liebesmüh“ durch die Theatertruppe „The Lord Chamberlain's Men“ von Richard Burbage. John Ford kannte ihn daher vermutlich auch persönlich; er übernahm für sein Stück einige Zitate aus dessen Werk „First Fruits“ von 1578. Er war Übersetzer von Werken des französischen Philosophen Michel de Montaigne und Herausgeber des Italienisch-Englischen Wörterbuchs „A Worlde of Wordes“, in welchem auch sein Name zu finden ist mit der Erläuterung
„Florio, a kind of bird, between which and the horse there is such an antipathy, that if the bird doe but whistle, the horse as astonied runneth away headlong.“ [pbm.com]

Henry Wriothesley „was a leader among the Jacobean aristocraty who turned to modern investment practices“ und unterstützte die kolonialen Bestrebungen Englands als Mitglied der „Virginia Company“ sowie der „East India Company“, um neue Absatzmärkte für englische Waren und Siedlungsgebiete für Auswanderwillige zu schaffen. Er gehörte zur Gruppe um Sir Edwin Sandys (1561 – 1629), pronounced „Sands“, zweiter Sohn des Erzbischofs von York und 1607 einer der Gründer der East India Company, welche 1624 wegen Unwirtschaftlichkeit aufgelöst werden musste. 1589 trat dieser in den Middle Temple ein, und „is said to have had a large share in securing the Mastership of the Temple Church in London for Richard Hooker, his tutor at Corpus Christi College in Oxford“. Seine Schrift „Europae speculum“ erschien 1605 als Raubdruck unter dem Titel „A Relation of the State of Religion in Europe“. – Im PROLOG küsst ein Lord Sands die noch ledige Anne Bullen/Boleyn.

(Montaigne unternahm 1589/81 eine Bäderreise nach Italien, die in seinem „Journal de voyage en Italie, par la Suisse et l'Allemagne“ beschrieben ist. [BE])

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