Kommentar-Vorschlag zu John Fords Drama
Schade, dass sie eine Hure war ('Tis Pity She's a Whore)

Gliederung

B. Auseinandersetzung mit den Lastern

III. Herz und Blut

1. Themse und Phlegethon

Irgendwann zwischen 1176 und 1206 ließ Peter, Kaplan der St. Mary Cole Kirche, die bis 1739 einzige Brücke Londons über die Themse bauen, die Old London Bridge. Bis 1758 war die Brücke vollgebaut mit Geschäften und Wohnhäusern, und mitten auf der Brücke stand die Kapelle des Hl. Thomas von Canterbury. [faculty.oxy.edu] [NDT] Sie und die Themse sind Gegenstand einer kleinen Geschichte, die mit einem Zitat aus der „Göttlichen Komödie“ von Dante Alighieri ihren Anfang nimmt.

Mostrocci un'ombra da l'un canto sola,
dicendo: “Colui fesse in grembo a Dio
lo cor che 'n su Tamisi ancor si cola.“

Sprecher der wörtlichen Rede ist ein Kentaur. Bei der Übersetzung dieser Verse (Die Hölle, 12. Gesang, Verse 118 – 120) bestehen zwischen deutschen und englischen Versionen gravierende Unterschiede.

Er zeigte uns, allein auf einer Seite, eine Seele und sprach:
„Dieser spaltete im Schoß Gottes das Herz,
das man noch an der Themse verehrt.“ [Walter Naumann; WBG 2003]

In einer Eck allein zeigt' einen Schatten
Er, sprechend: “Der durchbohrt' im Schoße Gottes
Das Herz, das an der Themse noch geehrt wird.“ [Philalethes; Knauer 1952]

Und wies mir einen, abseits der Gesellen:
„Der dort durchstach ein Herz in Gottes Schoß;
Noch heut verehrt man's an der Themse Wellen.“ [divina-commedia]


He pointed out a shade off to one side, alone, and said:
„There stands the one who, in God's keep, murdered
the heart still dripping blood above the Thames.“ [Mark Musa]

He pointed to one shade off by himself
And said, „In God's own bosom, this one stabbed
The Heart that still drips blood upon the Thames.“ [Phlegethon]

Die englischen Nachdichtungen fallen deutlich blutiger aus als die deutschen. Was war geschehen?

Am 13. März 1271 wurde während der Messe in der Episkopalkirche von Viterbo Henry of Almain, Sohn des Heinrich von Cornwallis, Vetter des englischen Königs Eduard I. und Statthalter Karls von Anjou in der Toskana, von Guy von Montfort unter Beihilfe seines Bruders Simon und seines Schwiegervaters aus Rache für den Tod seines Vaters und älteren Bruders in der Schlacht von Evesham 1265 ermordet. Villani berichtet, dass dessen Herz in einer Säule einer Themsebrücke in London aufbewahrt und verehrt werde (oder in einem goldenen Pokal).[Villani, Cronica 8,39, S. 389]

2. Rechtsgrundlage „Blut“

a) Kirchenrecht

Die römisch-katholische Kirche leitet ihre Existenz aus dem Blut ab, das aus dem von der Lanze eines römischen Soldaten verletzten Herzen des gekreuzigten Jesus geflossen ist. [Wikipedia]
Aus diesem biblischen Ereignis hat sich im Bereich des Franziskanerordens die Herz-Jesu-Verehrung entwickelt unter dem Motto: „Wir sollen die göttliche Liebe durch unsere Liebe vergelten.“ Die Ehrwürdigen Ordensbrüder werden in der Enzyklika des Papstes über die Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu dazu angehalten, „jene aus der Bibel, der Lehre der heiligen Väter und der Gottesgelehrten stammenden Grundsätze, auf die sich, wie auf feste Fundamente, die Verehrung des heiligsten Herzens Jesu stützt, achtsamer zu erwägen.“ Für die Anbetung gibt es zwei Gründe:

Der eine Grundsatz ist, dass sein Herz, als ein vornehmster Teil seiner menschlichen Natur, hypostatisch mit der Person des göttlichen Wortes verbunden ist, und dass ihm deshalb der gleiche Kult der Anbetung zu erweisen ist, womit die Kirche die Person des menschgewordenen Sohnes Gottes ehrt, feierlich festgelegt auf den Allgemeinen Kirchenversammlungen von Ephesus und Konstantinopel.

Der andere Grund, der den Kult der Anbetung fordert, liegt darin, dass sein Herz ein natürliches Zeichen oder Sinnbild seiner unermesslichen Liebe zum Menschengeschlecht ist.

Aus dem verwundeten Herzen des Erlösers ist die Kirche, die Handreicherin des Blutes der Erlösung geboren, und aus demselben ist die Gnade der Sakramente, aus der die Kinder der Kirche das übernatürliche Leben schöpfen, überreich geflossen. So schreibt der hl. Thomas: „Aus der Seite Christi floss das Wasser zur Waschung, das Blut aber zur Erlösung. Und darum gehört das Blut zum Sakrament der Eucharistie, das Wasser aber zum Sakrament der Taufe; diese hat jedoch ihre reinwaschende Kraft aus der Kraft des Blutes Christi.“

Der Kult, den wir, die römisch-katholische Kirche, der Liebe Gottes und Jesu Christi zu den Menschen unter dem heiligen Zeichen des durchbohrten Herzens des gekreuzigten Erlösers weihen, hatte große Förderer mit Persönlichkeiten von hervorragendem Ruf auf diesem Gebiet wie beispielsweise die Heiligen Bonaventura, Albert der Große, Gertrud, Katharina von Siena, der sel. Heinrich Seuse, die Heiligen Petrus Canisius und Franz von Sales.

(Mit dem Kult des heiligsten Herzens Jesu ist die Verehrung des unbefleckten Herzens der Gottesmutter zu verbinden; denn die allerseligste Jungfrau Maria war bei der Durchführung des Erlösungswerks der Menschheit nach dem Willen Gottes mit Christus untrennbar verbunden.) [kongregation]

b) Geblütsrecht des Adels

Blut ist auch die Grundlage des Geblütrechts, dem „in magischen Vorstellungen vom Heil wurzelnden Vorrang der Geburt, der den Gliedern von Königsfamilien und verwandten Geschlechtern Anwartschaften auf die Thronfolge gab. [BE] Generell galt die männliche Thronfolge. Der Versuch von Sir Walter Raleigh, nach dem Tod von Königin Elisabeth I. Tudor 1603 Arbella Stuart als deren Nachfolgerin auf den Thron zu setzen, war erfolglos und letztlich verhängnisvoll für ihn.

c) Prinzip der „limpieza de sangre“

In Toledo kam es 1449 zum Aufstand des Statthalters Pedro Sarmiento. Der in seinem „Sentenzenstatut“ den Ausschluss der neubekehrten Juden von allen öffentlichen Ämtern anordnete und damit einen der ersten Versuche unternahm, das Prinzip der „limpieza de sangere“ (Reinheit des Geblüts) durchzusetzen. Er stieß aber damit noch bei den weltlichen und kirchlichen Autoritäten auf Ablehnung. Erst im 16. Jahrhundert fand diese Vorstellung Eingang in Gesetzgebung und Rechtspraxis. [LexMA]

3. Herzlosigkeiten

Als direkte Vorlage für die Ermordung seiner Geliebten aus übergroßer Liebe und Eifersucht mit einem Dolchstoss ins Herz gilt gemeinhin der Hauptakteur in William Shakespeares gleichnamiger Tragödie „Othello, der Mohr von Venedig“. Im Gegensatz zu diesem bringt GIOVANNI sich nicht selbst um. Nur in wenigen Fällen wurden hochgestellten Persönlichkeiten nach ihrem Tod das Herz aus dem Leib geschnitten und gesondert begraben. So gab es beispielsweise im Bamberger Dom eigens eine Grabstelle für dieses Körperorgan.

a) Herz-Opfer

„The language of „'Tis Pity“ is dominated by two key terms: blood and heart which occur same 34 and 42 times in the play – not counting other associations. [Wikipedia] 1609 wurde die East-India-Company gegründet, der Blick richtete sich nach Westen, u. a. dorthin, wo einst im Frühling 1519 der spanische Eroberer Hernando Cortez (1485 – 1547) mit seiner Flotte von elf dickbauchigen Schiffen, beladen mit 530 Mann, 16 Pferden und 14 Kanonen von Kuba kommend an der Ostküste Mexikos landete. Etwa zur gleichen Zeit war dreihundert Kilometer westlich in Tenochtitlan, der Hauptstadt des Aztekenreiches, ein Priester im Begriff, auf der Tempelpyramide einem Mädchen als Opfer für den Hauptgott Huitzilopochtil das Herz aus dem Leib zu schneiden. [pm-magazin.de]
Eine Marginalie zu den Tausenden von Kriegsgefangenen der Inkas, die auf diese Weise ihr Leben verloren.

b) Herz-Entnahme

Von Einfluss auf GIOVANNIS brutale Herzentnahme bei seiner von ihm erstochenen Schwester kann auch William Shakespeares Werk „Der Kaufmann von Venedig“ gewesen sein, in dem der Jude Shylock für die Ausleihe von Geld statt eines Wucherzinses ein Pfund Fleisch (gemeint ist das Herz, wie er selbst sagt) aus dem eigenen Körper des Geldnehmers als Sicherheit verlangt. In diesem Werk verwendete Shakespeare auch mehrfach das Wort „bid“ (siehe PROLOG). Dort heißt es z. B. „I am not bid for love“ oder „I am bid forth to supper“, Beispiel für eine Unfreiheit von Denken und Sprache. [Naumann 101]

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