Kommentar-Vorschlag zu John Fords Drama
Schade, dass sie eine Hure war ('Tis Pity She's a Whore)

Gliederung

A. Hundert Jahre Vergangenheit

III. Dramatis personae

„Triumph der Sünde – Von Wollust, Habgier und anderen Versuchungen“ – ein aktueller SPIEGEL-Artikel über die in der Bibel und der Kirche in die Welt gesetzten verdammenswerten Laster der Menschen mit Blick auf die heutige westliche Gesellschaft. Denn: „Heute ist Sünde allenfalls eine Art Verstoß gegen die soziale Straßenverkehrsordnung und soweit Schuld und Seelenqual und Gewissensbisse mit ihr verknüpft sind, eine Sache für Therapeuten und in jedem Fall verhandelbar.“ König Heinrich VIII. Tudor glaubte, seine Eheschließungen seien mit dem Papst verhandelbar. Scheidung oder nicht? Das war die Frage. 1536 starb die spanische Prinzessin und englische Königin Katharina von Aragon in der Verbannung, und sechs Unschuldigen (Anne Boleyn und Mitglieder ihrer Partei am Hofe Heinrichs VIII. in Greenwich) wurde im Tower und auf dem Tower Hill in London der Kopf abgeschlagen. Es begann das elisabethische Zeitalter mit zahlreichen auf diese Zeit bezogenen Dramen von Thomas Kyd, John Webster, Christopher Marlowe, Ben Jonson neben denen von William Shakespeare und John Ford [Erlebach 298f.]

John Ford stellt in seinem Drama 15 Personen (und kurzzeitig einige Statisten) auf die Bühne, vier Frauen und elf Männer. Die Frauen sind namentlich bzw. geschichtlich sexuell schwer (vor)belastet: „One repeated feature of Ford's use of 'knowing' words is, as so often in Renaissance drama, a sustained pun on the idea of 'carnal knowledge'.[Hopkins Know]

ANNABELLA wird vom Bruder GIOVANNI geschwängert an SORANZO verkuppelt und vom Bruder ermordet.
Zu Aussehen und Charakter ihres Vorbildes gibt es literarische Quellen. Als >The Most Happy< bezeichnet „was Anne Boleyn the opposite of the pale, blonde-haired, blue-eyed image of beauty. She had dark, olive-colored skin, thick dark brown hair and dark brown eyes which often appeared black. Those large dark eyes were often singled out in descriptions of Anne. She clearly used them, and the fascination they aroused, to her advantage whenever possible. During her stay in France she learned to speak French fluently and developed a taste for French clothes, poetry and music. She had many admirers and suitors. Among the former was the poet Sir Thomas Wyatt, and among the latter, Henry Percy, heir of the Earl of Norhumberland, a marriage with whom, was stopped by the king and another match provided for her in person of Sir James Butler.“ [nndb.com]

HIPPOLITA schickt ihren Ehemann RICHARDETTO in den (vermeintlichen) Tod, um sich mit SORANZO zu verbinden. Ihre durch das Scheitern der Beziehung ausgelösten Rachetaten enden mit ihrer Vergiftung.

PHILOTIS ist der Name einer Kurtisane bei Terenz. Von Onkel und Tante im Stich gelassen und „durchgevögelt“ [Tragelehn 115] wird sie in ein Nonnenkloster geschickt.

PUTANA ist die venezianische Bezeichnung für „Hure“ (ital. „puttana“; engl. whore, strumpet). Sie wird ausgehorcht, geblendet und verbrannt.


Von den elf Männern entsprechen fünf jenen zusammen mit Anne Boleyn hingerichteten Hofleuten.

GIOVANNI – Viscount George Rochford, Anne Boleyns Bruder

Die drei Kammerherren Sir Henry Norris, Sir Francis Weston William Brereton können alternativ den italienischen Fürsten zugeordnet werden:

SORANZO – Giovanni Soranzo, Doge der Republik Venedig von 1312 bis 1328. Seine Tochter war mit einem Mitglied an der Verschwörung des Baiamonte Tiepolo von 1310 verheiratet. Zum Exil mit ihrem Mann verurteilt kehrte sie dennoch zurück und wurde bis an ihr Lebensende eingekerkert. 1321, während seiner Amtszeit, war Dante Alighieri in Venedig zu Besuch.

SORANZO ist als Edelmann der ranghöchste Bewerber um die Braut, entsprechend der führenden Stellung des Dogen von Venedig. Die Republik hatte 1405 begonnen, oberitalienische Gebiete zu erobern, und hatte zur Zeit der Handlung die sog. Terraferma mit Städten wie Vicenza, Verona, Bassano, Feltre, Belluno, Padua sowie Friaul, Brescia und Bergamo in Besitz, zudem auch zeitweise Cremona.

Ein relativ aktueller Anlass könnte auch den Blick des Autors auf Venedig gelenkt haben. Denn 1605 entstand ein Konflikt zwischen der Republik und dem Heiligen Stuhl; er begann „with the arrest of two clerics accusel of petty crimes, and with a law restricting the Church's right to enjoy and acquire landed property. Pope Paul V held that these provisions were contrary to canon law, and demanded that they should be repealed. When this was refused, he placed Venice under an interdict. The Republic paid no attention to the interdict or the act of excommunication, and ordered its priests to carry out their ministry.“ Als Frankreich intervenierte, kam ein Kompromiss zustande „that so citizen was superior to the normal processes of law.“ [wapedia]

GRIMALDI – Fürst von Monaco (Fürstentum seit 1612). Ermordung des regierenden Lucien Grimaldi am 22. August 1523 durch ein Mitglied eines mit den Doria in Genuea verwandten Nebenzweiges der Familie mit Hilfe des Dogen von Genua, Andrea Doria. (Eine der etwa ein Dutzend Sippen der Familie Grimaldi, die 1296 politisch zu den Guelfen gehörend als den Ghibellinen Unterlegene Genua verlassen mussten, hatte am 8. Januar 1297 als Franziskanermönche verkleidet die genuesiche Festung Monaco erobert und in Besitz genommen.). Wegen der ständigen Bedrohung durch Frankreich war Monaco von 1525 bis 1641 ein Protektorat Spaniens, geschützt durch eine Garnison spanischer Soldaten, deren Stationierungskosten das Land sehr belastete.

„Take the worst with the best – there's GRIMALDI the soldier, […] they say he is a Roman, nephew to the Duke Monferrato“: PUTANAS Hinweis [I,2,72f.] führt zwar nicht nach Rom, eher in die Vergangenheit. Das aus zwei getrennten Teilen zwischen den Seealpen und dem Po bestehende Territorium von Montferrat wurde von Karl dem Großen zu einer Grafschaft zusammengelegt und 967 von Otto dem Großen zu einer Markgrafschaft erhoben. Die herrschende Familie nahm an vorderster Stelle an den Kreuzzügen teil und stellte in den eroberten Ländern eine Reihe von Monarchen, darunter vor allem die zwei Söhne und ein Enkel des Markgrafen Wilhelm VI.:

DONADO – Der reiche und mächtige Doge von Genua, Andrea Doria (1466 – 1560), hier namentlich umgebildet.

Königin Annes Musikant, der mutmaßlich homosexuelle Mark Smeaton als
BERGETTO ~ Gianettino Doria, eitler und unbeliebter Neffe von Andrea Doria; niedergestochen in der Verschwörung des Giovanni Luigi de Fieschi (Fiesco) zu Genua in der Nacht vom 1. zum 2. Januar 1547. Der Doge Andrea Doria, dem der Anschlag galt, konnte sich unverletzt retten. Der Anführer der Verschwörer fiel bei der Rückkehr zu den Galeeren von der Planke zu seinem Schiff und ertrank.

Die übrigen sechs Männer sind nicht mit dem englischen Königshof direkt verbunden.

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